Sunday, May 16, 2010

Man kann Sarajevo lieben und man kann in Sarajevo lieben. Sarajevo im bosnisch-serbischen Krieg 1992/95 eingeschlossen und schwer zerstört ..... und die Liebe? 1996 fliegt eine Gruppe des Ev. Jugendpfarramts des Kirchenkreises Münster auf Einladung der bosnischen Regierung nach Sarajevo, um im dortigen Nationaltheater ein Musiktheater über den gerade überstandenen Bürgerkrieg zu zeigen - 'Sarajevo Love'. Wie passt das Alles zusammen? Münster bereitete sich auf das 350jährige Jubiläum des Westfälischen Friedens vor. Unter den vielen Veranstaltungen sollte auch eine für Jugendliche sein. Die komplizierte Geschichte eines Religionskrieges war zu erzählen. Könnt ihr das, wurde das Jugendpfarramt gefragt. Eines Tages kam der Theatermacher Thomas Nufer in die Projektgruppe mit einem Foto von einer Brücke in Sarajevo im Bürgerkrieg: Bosko und Admira liegen dort, umschlungen, erschossen. Admira, eine Muslimin, war während der Belagerung Sarajevos bei ihrem serbischen Freund Bosko geblieben. Sie stemmten sich mit ihrer Liebe gegen die wahnsinnigen ethnischen Säuberer, die Sarajevo 'muslimfrei' schießen wollten. Sie verstanden nicht, dass eine Stadt, in deren Zentrum eine katholische Kathedrale, eine Moschee und eine Synagoge eng beieinander stehen, nun plötzlich nur noch serbisch sein sollte, und die Nachbarn von gegenüber Feinde geworden waren, weil sie einer anderen Religion angehörten. Schließlich wurde ihnen der Beschuss und die Menschenjagd der Belagerer so gefährlich und unerträglich, dass sie die Stadt ihrer Liebe verlassen wollten. Sie erreichten die Brücke, als Bosko von Schüssen getroffen wurde, dann auch Admira, die mit letzter Kraft zu ihm kroch und mit ihm starb. Thomas Nufer schrieb dazu Drehbuch, zwei Mitglieder der Panikorchesters von Udo Lindenberg komponierten die Musik, eine große Gruppe von - meist semiprofessionellen, und von Laien -Schauspielern übernahmen die Rollen, ein Nachwuchschor der Erlöserkirchengemeinde sang und tanzte die Musicalpartien. Ein großer Erfolg, ständig ausverkauft. Tränen der Betroffenheit und des Schocks - man verstand zum ersten Mal, was 'dort auf dem Balkan' eigentlich geschehen war. Die große Überraschung: die Einladung der bosnischen Regierung, das Stück in Sarajevo selbst zu spielen. Ein deutscher Sponsor ließ Schauspieler in das kriegszerstörte Sarajevo fliegen, das gesamte Ton- und Bühnenequipment folgte in zwei Lastwagen über den Landweg. Die Premiere sahen die Offiziellen, Diplomaten, Nato-Soldaten, es gab Verständnis- und Übersetzungsprobleme. Die nächsten Vorstellungen waren jugendlicher besetzt - die vermutlich - Studentinnen und Studenten, manche ehemals Flüchtlinge in Deutschland, verstanden Deutsch und folgten bewegt und betroffen der Interpretation eines Geschehens, das sie oft selbst erlitten, was die Münsteraner nur gehört hatten. Und, unbemerkt, waren die Eltern der erschossenen Admira unter den Zuhörern. Einige besuchten sie später in ihrem Haus und berichteten, wie sehr sie unser Stück berührt habe, welche Trauer sie immer noch gefangen hält und welcher Hass. Die Darstellerin der Admira trug, von der Regie unbemerkt, ein Kreuz um den Hals. Ihre wirkliche Mutter aus Sarajevo rief: ' Ja, sie trug ein Kreuz, obwohl sie doch Muslimin war. Aber Bosko hatte es ihr geschenkt!' Kann man nach solch einer Geschichte nach Münster zurückkehren, als wäre nichts geschehen? Zumindest können wir, meinte der damalige Jugendpfarrer Christoph Schmidt-Ehmcke, die materielle Not ein wenig zu mindern helfen. Dieter Schönfelder, der Jugendreferent und sein Kollege im Jugendpfarramt, Andreas Czarske, nahmen die Idee auf und setzten sie um. Herr Schönfelder spannte Oberstleutnant Ludo Hupperts, Presseoffizier der UN- Truppen in Sarajevo während des Bosnienkrieges, in das Projekt ein und stellte es auf ordentliche Füße: 'Sarajevo Love' wurde ein Hilfsprojekt für die Ärmsten der Armen in der so schönen Stadt. Das Ergebnis: Ab 1999 hat 'Sarajevo Love' über eine Kontaktperson in der bosnischen Hauptstadt, Frau Muamera Selimovic, über 50.000 Euros verteilt! Das alles nur über die monatliche Spende von etwas mehr als zehn aus der Theatergruppe, der Jugendreferenten, einiger Großspender und der herzlichen Sammlungen, wenn Pfarrer Schmidt-Ehmcke bei Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen gefragt wurde, womit man denn etwas Gutes tun könne - mit Geld für Sarajevo Love. Denn: Man kann Sarajevo lieben und man kann in Sarajevo lieben. Trotz allem!

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